Vor 75 Jahren, am 5. Januar 1945 wurde Julius Leber im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee erhängt. Im Kreis der „Widerstandsgruppe 20. Juli“ war er als Innenminister nach dem Ende der NS-Diktatur vorgesehen , aber das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler misslang und damit auch der militärische Umsturz.
Leber war bereits vor dem Attentat Anfang Juli 1944 verhaftet worden. Er sah die Notwendigkeit ein breites politisches Bündnis aufzubauen und suchte deshalb Kontakt zu kommunistischen Widerstandsgruppen. Gemeinsam mit Adolf Reichwein traf er sich mit den Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jakob. Ein bei dem Treffen anwesender Gestapospitzel denunzierte die Beteiligten. Alle wurden verhaftet. 1
Haft, Verhöre, Folter
Drei Wochen lang gab es kein Lebenszeichen von Julius Leber. Wo er in dieser Zeit war, ist unbekannt. Am 24. Juli kam er mit einem Gefangentransport im Zuchthaus Brandenburg-Görden an. Ein Gefangener erinnert sich, dass er Spuren der Mißhandlung trug. Schon drei Tage später holte ihn die Gestapo in einem kleinen Opel ab und brachte ihn in die Sicherheitspolizeischule Drögen.
Gustav Dahrendorf erinnert sich in der Zeitung Telegraf 1947 an Lebers Haftzeit: „Vier Nächte wurde er im August 1944 in der Sicherheitspolizeischule Drögen bei Fürstenberg i. M. ‚vernommen‘. Furchtbar waren die Mißhandlungen, mit denen man ihn zu Aussagen über die Vorbereitung des 20. Juli zwingen wollte. Julius Leber ertrug sie und schwieg.“2 Verhört wurde er in Drögen durch die Kommission „Lange“, geleitet von Kriminalrat Herbert Lange, der mit der Verfolgung der Attentäter des 20. Juli beauftragt war. Der war verantwortlich für unzählige Morde an Juden und Kranken im besetzten Polen.
Für Leber folgten wochenlange Vernehmungen und Mißhandlungen im „Bunker“, dem Zellenbau des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, wo auch Hermann Maaß und Gutav Dahrendorf einsaßen. Isa Vermehren, die Leber aus Lübeck kannte und die das Konzentrationslager Ravensbrück überlebte, hat ihn dort mehrmals gesehen und konnte einmal mit ihm sprechen. Sie erinnert sich: „Selbst seine Bewacher schien er durch den Eindruck … echter Würde … und … vollendeter Selbstsicherheit“ zu beeindrucken. Leber betonte ihr gegenüber, dass er zu seiner Überzeugung stand und dass„ für eine so gute und große Sache der Einsatz des eigenen Lebens nur der angemessene Preis“ ist.3
Vor dem Volksgerichtshof
Am 28. September wurde Leber nach Berlin in das Polizei-Gefängnis Lehrter Straße verlegt und von dort zusammen mit Adolf Reichwein, Hermann Maass und Gustav Dahrendorf am 14. Oktober in das Hausgefängnis der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8. Dort erhielten alle vier die Anklageschrift wegen „Landesverrat. Feindbegünstigung. Hochverrat. Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens“. 14 Stunden später begann am 20. Oktober 1944 der Prozess vor dem Volksgerichtshof im heutigen Kammergericht am Kleistpark, unter dem Vorsitz des berüchtigten Richters Freisler. Ein Schauprozess vor ausgewähltem Publikum, Offizieren, SS-Männern und Pressevertretern.
Paul Sethe, der als Journalist die Prozesse beobachtete, erinnert sich. „Das Verhör dauert vielleicht eine Stunde oder zwei, man weiß es nicht, … immer deutlicher senken sich die Schatten des Todes über Julius Leber herab – aber die Stimme da vorn bleibt ruhig, gleichmäßig und gelassen wie am Anfang. Kein Zittern in den Worten, keine Unsicherheit in der Aussage, kein zu schnelles und kein zu langsames Wort, kein Zeichen, dass Julius Leber den Mann da vorn fürchtet. … Mit einem leisen und sehr höflichen: ‚Das ist ein Irrtum Herr Präsident…‘ oder ‚Sie irren sich wieder einmal, Herr Präsident…‘ zerstört Julius Leber die Wirkung des drohenden Pathos seines großen Gegners.“4
Und Mathias Menzel, der an diesem Tag als Zuschauer dabei war, beschreibt die Situation, als sich das Gericht zur Urteilsberatung zurück zog. „Im Saal jedoch geschieht etwas Unvergeßliches. Leber, der weiß, dass eine Viertelstunde später sein Todesurteil gefällt sein wird, reicht Dahrendorf, für den der Staatsanwalt mangels jeglicher Beweise ’nur‘ zehn Jahre Zuchthaus beantragen konnte, lange und bewegt die Hand. Sie können einander nichts sagen, die beiden Männer. Aber Tränen schimmern in ihren Augen. Es ist ein Händedruck, der vom Tod ins Leben herüberreicht.“ 5
Leber, Reichwein und Maass wurden zum Tode „durch den Strang“ verurteilt. Nur Gustav Dahrendorf entging mit der Zuchthausstrafe von sieben Jahren dem Tod. Die Urteile gegen Reichwein und Maass wurden noch am selben Tag vollstreckt.
Die letzten Wochen
Leber wurde zurück in die Prinz-Albrecht-Straße gebracht. Dass er nicht sofort hingerichtet wurde, ließ seine Frau Annedore hoffen, dass der sich ankündigende militärische Zusammenbruch des deutschen Reiches ihn vielleicht vor der Vollstreckung des Urteils retten könnte. Für die Vollstreckung zuständig war der Kriminalrat im Reichssicherheitshauptamt Herbert Lange, der Leber in der Polizeischule Drögen verhört hatte. Annedore Leber berichtete, dass sie mit ihm ein Geschäft vereinbart habe: Er sollte die Papiere für die Todesstrafe zurück stellen und als Gegenleistung würde Annedore Leber nach dem Krieg ein positives Zeugnis für sein Frau ausstellen. 6
Der Briefwechsel zwischen Julius und Annedore Leber in den letzten Wochen zeigt die enge Verbundenheit des Ehepaares. In seinem vorletzten Brief schrieb Leber an seine Frau: „Meine Seele hat ihre Heimat gefunden! … Und ich glaube und weiß jetzt, dass man einem anderen Menschen nichts Höheres und Besseres sagen kann, als dass er für einen die Heimat seiner Seele sei … – für mich bist du es!“ 7
Es waren Tage des Abschiednehmens. Annnedore Leber konnte ihn noch mehrmals im Gefängnis besuchen. Leber versuchte aus der Haft die geschäftlichen Angelegenheiten seiner Kohlenhandlung zu regeln. Mehrmals äußerte er in seinen Briefen Stolz auf die Kraft seiner Frau, aber auch Sorge um ihre Gesundheit und das Schicksal der Kinder. Er bereitete sich auch auf seinen anstehenden Tod vor. Am 18. Dezember konnte ihn Annedore das letzte mal besuchen und am 1. Januar 1945 schrieb Leber seinen letzten Brief an sie. Er wurde am 5. Januar in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Er war 53 Jahre alt.
Annedore Leber durfte keine Todesanzeige veröffentlichen. Sie ließ sich das aushändigen, was Julius Leber in der Haft noch geblieben war: zwei Schlüssel, die Armbanduhr, ein Karton mit 14 Büchern und seinen Trauring. Eine Grabstelle für Leber gibt es nicht, aber auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf am dem Grabmal seiner Frau, die 1968 starb, steht auch sein Name.
Egon Zweigart
Veranstaltung zum 75. Todestag von Julius Leber
(hier der Bericht zur Veranstaltung)
Der Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber erinnert an die Hinrichtung von Julius Leber:
Zeit: 5. Januar 2020, 16 Uhr (Einlass ab 15:30 Uhr)
Ort: Goldener Saal im Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz, Berlin.
Wir freuen uns sehr, dass dazu Dr. Dorothea Beck (Autorin von „Julius Leber – Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand“, 1983) nach Berlin kommt. Ihr Beitrag „Julius Leber – seine politischen Grundsätze“ wird von ihrem Mann, Herrn Klaus Beck vorgetragen.
Dr. Heinrich-Wilhelm Wörmann (Historiker und Vorsitzender der Historischen Kommission der SPD Berlin) wird über Julius Lebers Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus sprechen.
Der Schauspieler und Autor Christian Berkel wird aus den letzten Briefe Julius Lebers lesen.
Grußwort von Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler.
1 Soweit nichts anderes angegeben ist, beziehen sich die Informationen des Artikels auf Dorothea Beck: Julius Leber – Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Siedler, Berlin 1983
2 Gustav Dahrendorf: Dr. Julius Leber – Mensch und Kämpfer. In: Telegraf, 7.01.1947, S. 3
3 Zitiert nach: Beck 1983, S. 200-201
4 Paul Sethe: In Wasser geschrieben. Porträts Profile Prognosen. Scheffler, Frankfurt 1968. S. 18-21
5 Mathias Menzel: Die Stadt ohne Tod. Berliner Tagebuch 1943/45. Habel Verl., Berlin 1946. S. 83
6 Dörte Döhl: Geschichte der Kohlenhandlung in Schöneberg Bruno Meyer Nachfolger, Torgauer Straße 24-25. In: Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Berlin. Hrsg. Berliner Geschichtswerkstatt. Eigenverlag, Berlin 2014
7 Beck 1983, S. 337