In Biesheim begann alles: hier ist kommt 1891 der Sohn der 23-jährigen Katharina Schubetzer zur Welt. Sie ist ledig und katholisch, zu der Zeit keine guten Startchancen für das Kind. Mit vier Jahren bekommt der Junge doch noch einen Vater, denn Katharina heiratet den Tagelöhner Jean Baptiste Leber aus Biesheim. Ab jetzt heißt Katharinas Sohn Julius Leber oder in der französischen Form „Jules Leber“. Mit Unterstützung des Ortspfarrers kann Leber die Realschule im benachbarten Breisach, auf der anderen Rheinseite, besuchen. Immer der Beste in seiner Klasse gelingt es ihm dank eines Stipendiums in Freiburg an der Rotteck-Oberrealschule das Abitur zu machen. Und nach einem Studium in Straßburg und Freiburg promoviert er zum Doktor der Nationalökonomie.
In Berlin erinnert der Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber an ihn. Auch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand wird Lebers Bedeutung im Widerstand gegen den Nationalsozialismus heraus gestellt und eine Straße sowie eine Brücke sind nach ihm benannt. Bei einer Fahrradtour im Elsass und Südbaden wollte ich sehen welche öffentliche Erinnerungen es an seinen Schul- und Studienorten heute gibt. Und bin auf vielfältige Initiativen gestoßen.
Biesheim
Julius Lebers Geburtshaus, auch das Haus in dem er aufwuchs und die kleine Gemeindeschule stehen heute nicht mehr. Am früheren Wohnhaus der Familie erinnert nur noch eine alte Mauer mit ein paar Tafeln an Leber. In einem Neubau dahinter hat ein Friseur sein Geschäft. Etwas kahl sehen die unbepflanzten Kübel vor der Mauer aus, aber „in den nächsten Tagen sollten hier Blumen gepflanzt werden“ sagte Patrick Schweizer, stellvertretender Bürgermeister von Biesheim.
Breisach
Eine Grund- und Gemeinschaftsschule in Breisach nennt sich nach Julius Leber. Und er ist fest in den Jahresablauf eingebunden, erklärte mir die Konrektorin Jessica Ohletz. Immer am 16. November, an Lebers Geburtstag, versammeln sich Schülerinnen und Schüler der Julius-Leber-Schule in der Aula, um seine Erinnerung wach zu halten. Jessica Ohletz hatte unseren Arbeitskreis angeschrieben, um uns über die geplante Umbenennung der Rheinbrücke bei Breisach zu informieren. Ihr habe ich wertvolle Konktakte für meine Reise zu verdanken. Und sie hat unzählige Ideen, wie Leber in den Unterricht eingebunden werden kann: ein Julius-Leber-Memory im Französischunterricht, Fächeraufgaben, eine Ausstellung, die Schülerzeitung … Und dass am Geburtstag und nicht am Todestag Lebers an ihn erinnert wird, erklärt sie mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler.
Im Eingangsbereich der Schule hängt eine Kupfertafel zur Erinnerung an Julius Leber. Daneben eingerahmt der Text eines Telegramms von Willy Brandt zur Einweihung der Julius-Leber-Schule 1969. Darin schreibt er „Der Name dieses Mannes ist … eine Aufforderung zur Kritikfähigkeit zu erziehen und verantwortungsbewußte Demokraten haranzubilden“
An der Realschule in Breisach war Julius Leber jahrelang der beste Schüler und gab Klassenkameraden Nachhilfeunterricht. Diese Realschule, die frühere Höhere Bürgerschule der Stadt Breisach ist seit 1975 das Martin-Schongauer-Gymnasium, benannt nach dem Maler und Kupferstecher. Im Eingangsbereich erinnert eine Kupfertafel an Julius Leber. Direkt darunter ist eine Sitzecke für Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums, die so täglich auf Leber treffen.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Jessica Ohletz hatte nicht nur den Besuch im Martin-Schongauer-Gymnsasium organisiert. Sie hat auch dafür gesorgt, dass die deutsch-französiche Arbeitsgruppe „80 Jahre Ende des 2. Weltkriegs“ sich am Tage meines Besuches in Breisach traf und dass ich dazu eingeladen wurde. Beim Treffen im blauen Haus waren Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Breisach, des Gemeindesverbandes Alsace Rhin Brisach und auch aus Kultureinrichtungen des deutsch-französischen Grenzgebietes dabei. Das blaue Haus ist nicht nur eine Gedenk- und Bildungsstätte zur jüdischen Geschichte am Oberrhein, es ist auch das ehemalige jüdische Gemeindehaus von Breisach und damit ein authentischer Ort. Bei einem Rundgang im Haus und zum nahegelegenen jüdischen Friedhof konnten wir sehen, wie lebendig an dem Ort die Geschichte erzählt werden kann.
Die Arbeitsgruppe plant eine Veranstaltung am 5. Januar 2025 zum 80-jährigen Todestag von Julius Leber. An dem Tag soll die Rheinbrücke bei Breisach mit einem Festakt offiziell in Julius-Leber-Brücke umbenannt werden. Geplant ist eine zwei-sprachige Beschilderung, die auch auf das Wirken von Julius Leber eingeht. Daneben soll eine Ausstellung zu Julius Leber entwickelt werden, die im deutsch-französischen Kulturzentrum Art’Rhena auf der Rheininsel gezeigt werden soll. Das Jahr 2025 soll hier ein Julius-Leber-Jahr werden.
Freiburg
Nach seiner kaufmännischen Ausbildung in der Breisacher Tapetenfabrik Erismann besuchte Julius Leber von 1910 bis 1912 die Rotteck-Oberrealschule in Freiburg, um das Abitur zu machen. Aufgrund seiner Begabung war er vom Schulgeld befreit, erhielt wohl auch ein Stipendium und persönliche Unterstützung von einem Freiburger Apotheker, dem Onkel seines früheren Breisacher Nachhilfeschülers. Dennoch muss er hinzuverdienen, wieder mit Nachhilfe und jetzt auch mit dem Schreiben von kleineren Zeitungsartikeln.
Bei meiner ersten Kontaktaufnahme mit dem heutigen Rotteck-Gymnasium war an der Schule nicht bekannt, dass Leber hier Schüler war und das Abitur gemacht hatte. Aber Martin Krön, der Fachbereichsleiter für Geschichte am Gymnasium reagierte schnell. Im Schularchiv fand er Einträge zu Julius Leber und eine Projektgruppe seines Geschichtsleistungskurses begann sich mit Leber zu befassen.
In der Schule traf ich mich mit der Projektgruppe, drei sehr engagierten jungen Frauen, die sich in kürzester Zeit intensiv in die Geschichte von Julius Leber eingearbeitet und viele, viele Fragen hatten. In Zusammenarbeit mit dem im Entstehen begriffenen NS-Dokumentationszentrum in Freiburg bereiten sie eine Informationstafel zu Leber für das neue Zentrum vor.
Studium in Straßburg und Freiburg
Nach seinem Abitur 1912 studiert Leber Nationalökonomie an der Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg. Bald darauf wechselt er an die Freiburger Universität. Unterbrochen vom ersten Weltkrieg, schloss er Ende 1920 sein Studium mit der Promotion zum Doktor der Nationalökonomie (Dr. rer. pol.) ab. Thema seiner Dissertation war „Die ökonomische Funktion des Geldes im Kapitalismus“. Danach ging er als Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung nach Lübeck und wurde zur prägenden Kraft der dortigen sozialdemokratischen Partei und zum entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus.
Egon Zweigart (Juni 2024)