Stichwort: Politische Magie, Fahnen, Zeichen, Riten
Für Julius Leber war der erste Einstieg in die politische Aktion in Lübeck die Auseinandersetzung um die 1921 neu aufgerollte Frage der Handelsflagge der Republik.
Nach Lebers Meinung hatte die SPD sich schon damals übertölpeln lassen und war drauf und dran, sich wiederum aufs Kreuz legen zu lassen, wollte doch die DNVP nunmehr auch die schwarz – rot – goldene Gösch verschwinden lassen. Zwar hatte die SPD im Reichstag dagegen gestimmt, im Reichsrat aber hatte der Lübecker Senat, also auch sozialdemokratische Senatoren, diesem Antrag zugestimmt.
Bekanntlich war die Handelsflagge schwarz – weiß – rot geblieben, die Republik durfte ihre Farben schwarz – rot – gold nur in der Gösch unterbringen.
Hier setzte Lebers massive Kritik ein. Während er gegenüber der bürgerlichen Seite juristisch argumentierte, benutzte er seinen eigenen Parteifreunden gegenüber politische Argumente. Unmissverständlich versuchte er deutlich zu machen, dass es bei der Flaggenfrage um mehr ging als ein bloßes „Farbenspiel“, nämlich um politische Macht. Schwarz – weiß – rot war das Zeichen für die Staatsform Monarchie, schwarz-rot-gold stand für Republik, die Flaggenfrage war also eine Frage der Alternative zwischen „Monarchie oder Republik“.
Der Mitgliederversammlung seiner Partei in Lübeck legte Leber am 5.Juli 1921 eine Entschließung vor, in der es hieß, dass „keinerlei stichhaltige Gründe für eine Änderung der in der Verfassung festgelegten Handelsflagge“ erkennbar seien, dass die „Agitation für schwarz – weiß – rot in Wirklichkeit nur das Ziel“ habe, die „Weimarer Verfassung rückwärts zu revidieren“.
Auch danach registrierte Leber peinlich genau alle Flaggenvorfälle in Lübeck, bezeichnete es als Scheinargument, wenn man ihm weismachen wollte, für schwarz – rot – goldene Fahnen sei kein Geld da. Er merkte es als Feigheit an, statt der Reichsfahnen nur die lübschen Fahnen zu zeigen. Einmal hat er sogar Arbeiter öffentlich dazu aufgefordert, schwarz – weiß – rote Fahnen zu entfernen.
Auch andere Zeichen der Vergangenheit – Kaiserbilder, Straßenbezeichnungen – wünschte er dringend durch republikanische zu ersetzen. Nicht nur gegenüber dem politischen Gegner war das schwer durchsetzbar, ebenso mühsam war das Werben um die eigenen Leute. Wieder und wieder hämmerte er seinen Parteifreunden ein, dass „Lauheit und Gutmütigkeit“ gerade bei solchen vermeintlichen Äußerlichkeiten „politisch größere Verbrechen als offene Ungerechtigkeit“ seien, weil sie Anzeichen von Schwäche verrieten, Schwäche aber „zum Gespött der Gegner und zum Gelächter der Gleichgültigen “ führe, was sich weder Sozialdemokratie noch Republik leisten dürften.
l923 kam es in Bad Schwartau zu einer völkischen Demonstration mit von Leber angeführter Gegendemonstration. Als es nach einer Schlägerei aussah, versuchte Leber das zu verhindern, indem er den Völkischen ihre Fahne wegnahm. Den aufgebrachten republiktreuen Demonstranten wies er diese Fahne dann als Zeichen der Kapitulation der Völkischen vor und es gelang ihm so die friedliche Auflösung der Demonstration. Hier hatte Leber seine Überzeugung, dass eine Fahne ein Symbol und eine eroberte Fahne Zeichen der Niederlage des Gegners sei, überzeugend zu vermitteln vermocht.
Wie eng verbunden bei Leber politische Aktion und Überzeugung verknüpft waren, wird in dieser Schwartauer Episode besonders deutlich. Leber war keinesfalls einer, der nur theoretisch zu überzeugen vermochte. Um die Fahne zu erringen, stürzte er sich tatsächlich tatkräftig ins Getümmel und setzte seine imponierende Körperlichkeit massiv ein.
Leber war Mitbegründer der 1923 in Lübeck entstandenen „Vereinigung Republik“, einer mit schwarz – rot – goldenen Armbinden ausgerüsteten Selbstschutztruppe, einem lokalen Vorläufer des späteren Reichsbanners schwarz – rot – gold. Auch das passt zu seiner grundsätzlichen Einstellung.
Die Tragik Lebers und seiner damaligen Gesinnungsgenossen liegt darin, dass ihnen nicht nur die doch stärker der politischen Rationalität verhaftete Tradition der SPD entgegenstand, sondern auch der Nationalsozialismus, der mit allen Mitteln psychologischer Massenbeeinflussung arbeitete und ebendiese Mittel dadurch völlig diskreditierte.
Stichwort: Gegner des Nationalsozialismus
Bekanntgeworden ist Leber als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Für diesen Widerstand ist Leber hingerichtet worden. Schon 1930 hatten ihm die Lübecker Nationalsozialisten erklärt: „Es kommt noch einmal die Stunde, wo wir an Ihre Tür anklopfen werden mit den Worten: Herr Dr. Leber, es ist soweit“, und sie waren noch deutlicher geworden: „Zwei Stunden nach unserem Sieg hängt Dr. Leber auf dem Marktplatz“. Es dauerte etwas mehr als zwei Stunden, aber knapp 12 Jahre nach der sogenannten Machtergreifung haben sie ihn dann tatsächlich aufgehängt. Die Nationalsozialisten sahen ihn also als einen ihrer großen Gegner, auch wenn Leber in den letzten Jahren vor 1933 trotz massiven Einsatzes ein eher resignierender Kämpfer geworden war. Ihm war klar, dass das alte System, die Republik von Weimar, abgewirtschaftet hatte. Er sah die Gefahr des Nationalsozialismus, wusste ihm aber letztlich kaum mehr etwas entgegenzusetzen. In einem schätzte er jedoch die Nationalsozialisten falsch ein. Er ging nämlich davon aus, dass die Grundzüge des politischen Systems von Weimar erhalten bleiben würden, glaubte, dass ein Reichskanzler Hitler nicht mehr „im Blut waten, sondern…in den spanischen Stiefeln der Verfassung marschieren“ müsse.
Mit der Ansicht, dass eine durch die normative Kraft der Verfassung gezähmte Regierung Hitler ein leichterer Gegner sein würde als eine auf Terror festgelegte Nazi- Truppe ohne Regierungsverantwortung, stand Leber nicht allein. Viele seiner Parteifreunde – und nicht nur sie – sahen das nicht anders.
Den Tag der nationalsozialistischen „ Machtergreifung“ verbrachte Leber in Berlin, er kehrte am 31. Januar nach Lübeck zurück. Dort feierten die Nationalsozialisten nach Berliner Muster ebenfalls mit einem Fackelzug.
Etliche Sozialdemokraten, unter ihnen Leber, saßen im Lübecker Gewerkschaftshaus zusammen. Es wurde getrunken, auch Leber trank reichlich. Den Heimweg trat er erst am frühen Morgen, begleitet von zwei Reichsbannerleuten, an. Dabei kam es zunächst zu einem Wortwechsel und einem Schlagabtausch mit einigen Nationalsozialisten, die dann Verstärkung holten und Leber und seine Begleiter ein paar Straßen weiter noch einmal angriffen. In der sich entwickelnden heftigen Schlägerei wurde ein Nationalsozialist von einem Begleiter Lebers getötet, Leber selbst erheblich verletzt.
Leber wurde für den Rest der Nacht in eine Arrestzelle gesperrt, die er völlig demolierte. Am Morgen wurde er entlassen, am Abend jedoch ohne Rücksicht auf seine Immunität als Reichstagsabgeordneter verhaftet. Aus Protest dagegen legte die gesamte Lübecker Arbeiterschaft am 3. Februar die Arbeit nieder.
Am 16. Februar wurde Leber gegen Kaution entlassen, sein Weg aus dem Gefängnis wurde zu einem Triumphzug. Am 19. Februar erschien er, noch immer schwer unter seinen Verletzungen leidend, auf einer Massenversammlung auf dem Lübecker Burgfeld, wo er seinen politischen Freunden und Anhängern noch einmal „Freiheit“ zurufen konnte.
In den Tagen bis zu seiner erneuten Verhaftung am 23. März 1933 vor dem Betreten der Kroll-Oper zur Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz hat Leber durchaus mit dem Gedanken der Flucht gespielt, ihn aber letztlich verworfen. Bis zum 5. Mai 1937 war Leber danach eingesperrt, zunächst in Schutzhaft, dann in Untersuchungshaft wegen der Lübecker Schlägerei. Nach seiner Verurteilung kam er in Strafhaft, anschließend in die Konzentrationslager Esterwegen und Sachsenhausen.
Während der Untersuchungshaft schrieb er eine Analyse über „Die Todesursachen der deutschen Sozialdemokratie“, in der er kritisch mit seiner eigenen Partei ins Gericht ging.
Einige Sätze darin lassen sich als Verbeugung vor den neuen Machthabern interpretieren. Wenn diese Passagen tatsächlich Lebers Überzeugung ausdrückten, dann kann dies nur für einen Moment in Lebers Leben gegolten haben: Das KZ verließ er als überzeugter Gegner des Nationalsozialismus.
Redeskript, daher keine Fußnoten. Zitate nach Dorothea Beck: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand, Berlin 1983