Schnittmuster und Politik
Mosaik – die Frauenzeitschrift
Annedore Leber bringt von 1947 bis 1949 die Zeitschrift Mosaik als „Monatsblatt der Zeit“, später als „Weltbild der Frau“, heraus. Zu diesem Zweck gründet sie 1947 den Mosaik-Verlag in Berlin und erhält für das Blatt die erste Zulassung der Britischen Militärregierung für eine Frauenzeitung.1 „Zu den Auflagen gehörte, dass die Verlagsprodukte nicht in Fraktur gedruckt werden durften. Außerdem war es verboten, Texte nationalsozialistischen, militaristischen, imperialistischen, rassistischen oder religiös intoleranten Inhalts zu veröffentlichen.“ 2
Bei Mosaik handelt es sich nur auf den ersten Blick um eine typische Frauenzeitschrift mit Schnittmustern, Strickanleitungen und Modeseiten. Hinter den schön gezeichneten unpolitischen Titelbildern und dem neutralen Titel steckt mehr. Das Monatsblatt „wird die nüchternen, harten und wenig bestechenden Farben der Gegenwart haben, die den Grundton unseres Lebens bilden. Doch die kleinen Glanzlichter der Illusion, des Heiteren, Liebenswerten, der menschlichen Wärme sollen die schweren und ernsten Töne unserer Nachkriegszeit aufhellen. Gemischt mit dem Schimmer der großen und fernen Welt wird es rufen zu dem Ziel, das erreicht werden muss“, gibt Annedore Leber in der ersten Ausgabe den Leserinnen mit.
Die vorderen Seiten der Hefte sind der Innen- und Außenpolitik gewidmet. Unter dem Titel „Welt-Mosaik“ werden die aktuellen politischen Themen kurz und verständlich zusammengestellt. In den regelmäßigen jeweils längeren Auslandsberichten wird u. a. das Leben junger Frauen dem jeweiligen Land vorgestellt. Auch die anderen Themen sind auf Frauen zugeschnitten. Ihre politische Teilhabe und der Anspruch auf Gleichberechtigung wird unterstrichen, sie sollen sich am Aufbau der Demokratie beteiligen. Politikerinnen kommen daher häufig zu Wort. In den Reportagen werden zudem neue Rollenvorbilder gegeben. Vorgestellt werden beispielsweise Eleanor Roosevelt, Ehefrauen der Alliierten Kommandanten von Berlin, aber genauso aktive Parlamentarierinnen.
Die Sorgen der Kriegswitwen nimmt das Blatt genauso ernst wie die Wohnsituation der Menschen und die schwierige Versorgungslage. Mit praktischen Alltagstipps und Lebenshilfen geht das Blatt auf die Realitäten der Nachkriegszeit ein, darunter auch das Reisen über die Zonengrenzen, den Umgang mit Kriegsversehrten oder das zermürbende Warten auf die Rückkehr der Kriegsgefangenen.
Angesichts der vielen alleinstehenden Frauen und Mütter lässt die Zeitschrift Architekten eine Siedlung entwerfen. Überschrieben mit dem Titel „Frauenstadt – Frauenstaat?“ erhält dieses soziale Projekt auch eine politische Aussage. Max Taut entwirft die „Variable Kleinwohnung“ für die alleinstehende Frau.
Weitere Themen werden in der Rubrik „Wir debattieren“ aufgegriffen, in der auch Annedore Leber hin und wieder das Wort ergreift. Zu den breit gefächerten Themen zählen z. B. Ko-Edukation in der Schule, Reaktionen auf die Beschwerde einer Frau über die Entnazifizierung ihres Mannes, die Einkommensteuer, die Gewerkschaften, die Berufswahl junger Menschen, „Jung heiraten oder nicht?“ oder „Warum bin ich in meiner Partei?“. Als aktuelles Thema schlägt sich die Berliner Blockade 1948-49 in der Zeitschrift sowohl in politischer Kommentierung als auch in der Berichterstattung über deren Folgen für die Bevölkerung nieder.
Zu den regelmäßig berichtenden Journalistinnen zählen Katharina Luthardt und Eva Siewert. Über rechtliche Fragen schreibt die Juristin Erdmuthe Falkenberg. Neben weiteren Journalistinnen und Journalisten, zählen zu den Autoren der Zeitschrift Ricarda Huch, Willy Brandt, Isa Vermehren, Paul Löbe, Odd Nansen, Otto Suhr, Ernst Reuter. Sie bringen neben aktuellen Kommentaren wie Annedore Leber und die Redaktion auch die Perspektive der im Nationalsozialismus Verfolgten ein.
Für Unterhaltung sorgen Erzählungen verschiedener Autoren und die bunten Meldungen am Ende der Hefte zusammen mit Kreuzworträtseln. Die Schnittmusterbögen, die jedem Heft beigegeben waren, folgen aktuellen Trends und helfen die Attraktivität des Blattes zu steigern. Professionelle Zeichnerinnen und Zeichner skizzieren die Modelle und die aktuelle Mode. Annedore Leber konnte auf diesem Gebiet auf langjährige Erfahrung zurückgreifen, hatte sie doch ab 1933 die Familie durch ein kleines Schneideratelier ernährt. Von 1938 bis 1944 war sie beim Deutschen Verlag in der Schnittmusterabteilung beschäftigt. In Mosaik präsentierte sie einen für die Zeit „auffallend eleganten“ Modeteil.3
Ab Mai 1948 arbeitet der erfahrene Modefotograf Norbert Leonhard für das Blatt. Er war ab 1941 in Konzentrationslagern interniert gewesen und in Sachsenhausen zur Mitarbeit bei der Herstellung von Falschgeld gezwungen worden. 1947 kehrte er nach Berlin zurück, wo er eine Redakteurin des Telegraf heiratete.4 Sein erstes Foto für Mosaik zeigt 1948 ein Modell mit einem schwingenden Kleid im Stil des aktuellen „New Look“ aus Paris in einer zeitgenössischen Berliner Straßenszene. Die Drehung des Modells und der leicht schräge Zuschnitt des Ausschnitts setzen das Kleid natürlich und dynamisch zugleich in Szene.
Mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren gehörte Mosaik zu den mittelgroßen Publikationen auf dem Markt. Nach der 20. Ausgabe im Juli 1949 wird die Zeitschrift Mosaik jedoch plötzlich eingestellt, ein wesentlicher Grund ist die Währungsreform und die Rationierung von Papier während der Berlin-Blockade. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation gibt es „von den vier allgemein-unterhaltenden Frauenzeitschriften, die 1947 in West-Berlin gemacht wurden, … Ende 1950 keine mehr“.5 Als Annedore Leber 1950 auch beim Telegraf ausscheidet, widmet sie sich dem Mosaik-Verlag und entwickelt ihn zu einem Buchverlag weiter.
Ausstellungsafel Mosaik (pdf, 600 kb – Zum Ausdrucken: Kürzere Fassung als dieser Text)
Fußnoten
1 Sylvia Lott, Die Frauenzeitschriften von Hans Huffzy und John Jahr. Zur Geschichte der deutschen Frauenzeitschrift zwischen 1933 und 1970, Berlin 1985, S. 380↩
2 Frauke Geyken, Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler, München 2014, S. 208↩
3 Lott, S. 382↩
4 Johannes Christoph Moderegger, Modefotografie in Deutschland 1929 bis 1955, 2000, S. 180↩
5 Lott, S. 405↩