Kindheit – Schule – Studium – Krieg
In Biesheim, einem kleinen elsässischen Bauerndorf, befindet sich vor einer Mauer ein Schild mit der Aufschrift „Place Jules Leber“. Daneben informiert eine Messingtafel, dass hier am 16. November 1891 „Jules Leber“ geboren ist. Katharina Schubetzer, seine Mutter, ist zum Zeitpunkt der Geburt gerade 23 Jahre alt, ledig und katholisch. Der Gerüchteküche zufolge ist der Vater des Jungen eine „hochgestellte Persönlichkeit“, da Katharina schwanger und mit einem nicht geringen Geldbetrag aus dem angrenzenden Frankreich zurückgekommen ist, wo sie als Dienstmädchen gearbeitet hatte. Mit dem Geld kauft sich die Familie ein Stück Land.
Den zweiten Vornamen „Jules“, später ist sein Rufname Julius, soll der Junge nach seinem Erzeuger bekommen haben,1 seinen ersten Vornamen Hieronymus nach seinem Großvater, dem Tagelöhner Jérôme Schubetzer. Der war im Elsass aufgewachsen, als es noch französisch war. Dass es seit der Annexion 1870/71 deutsches „Reichsland“ ist, sieht er mit Skepsis. Der Großvater hat einen prägenden Einfluss auf den Jungen. 1895 heiratet Katharina Schubetzer den Tagelöhner Jean Baptiste Leber aus Biesheim. Er erkennt ihren Sohn als sein Kind an.2
Foto: J. und A. Leber Archiv
Foto: J. und A. Leber Archiv
Foto: J. und A. Leber Archiv
Schulen und Lehre
Julius Leber wechselt nach dem Besuch der Volksschule in Biesheim, wohl dank der Fürsprache des Ortspfarrers, auf die Realschule im benachbarten badischen Breisach. Seine Mitschüler erinnern sich an „Jules“ als sehr selbstbewusst. An der Schule ist er „alle 6 Jahre lang der unschlagbare Primus“3. Da zu Hause das Geld knapp ist, wird er vom Schulgeld befreit. Dennoch muss er einem Mitschüler regelmäßig Nachhilfe für ein kostenlosen Mittagessen geben. Und natürlich hilft er zu Hause in der Landwirtschaft.
Nach Abschluss der Schule tritt Leber zusammen mit zwei Klassenkameraden eine kaufmännische Lehre in der Breisacher Tapetenfabrik Erismann und Cie. an. Von 1910 bis 1912 besucht er dann die Rotteck-Oberrealschule in Freiburg, um das Abitur zu machen. Auch hier wird er aufgrund seiner Begabung vom Schulgeld befreit, erhält wohl auch ein Stipendium und persönliche Unterstützung von einem Freiburger Apotheker, dem Onkel seines früheren Breisacher Nachhilfeschülers. Dennoch muss er weiter hinzuverdienen, wieder mit Nachhilfe und jetzt auch mit dem Schreiben von kleineren Zeitungsartikeln.
Bereits als Schüler tritt Leber in die SPD ein. Sicher spielt seine Außenseiterrolle unter den bürgerlichen Klassenkameraden eine Rolle. Vielleicht auch, dass sich die elsass-lothringische Sozialdemokratie zu der Zeit für eine Autonomie des Elsass einsetzt. Ein Thema, das ihm mit seinem franzosenfreundlichen Großvater und seiner deutsch geprägten schulischen Erziehung auch später in seiner politischen Laufbahn wichtig ist.
Der Eintritt in die SPD vergrößert die Distanz zu seinen Mitschülern. Einer erinnert sich, dass in der bürgerlichen Welt vor 1914 … Sozialist sein irgendwie in der Nähe von einem moralischen Defekt“ gewertet worden sei. Leber steht als bestem Abiturienten seines Jahrgangs eigentlich die Abiturientenrede zu. Allerdings kam in der Freiburger Festhalle nicht der Sozialdemokrat an die Reihe, sondern ein Mitschüler.
Nach dem Abitur 1912 studiert Leber Nationalökonomie an der Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg. Stark beeindruckt ihn dort sein Professor Georg Friedrich Knapp. Mit dessen Tochter Elly Heuss-Knapp und ihrem Mann Theodor Heuss wird Leber später eng befreundet sein. 1913 wechselt er zum Wintersemester an die Freiburger Universität.
Leutnant im 1. Weltkrieg
Julius Leber kann sein Studium erst nach dem 1. Weltkrieg beenden. Bereits am 2. oder 3. August 1914 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger. Im 3. Oberelsässischen Feldartillerieregiment wird er zunächst im Elsass, später in Lothringen eingesetzt. Ab Winter 1914 kämpft er im Stellungskrieg in Flandern.
„Vom 1. November 1914, an dem die große Ypernschlacht erstarrte, bis zum 15. Dezember lebte ich in einem Zelt, ohne Decke und ohne Stroh. Die ganzen 6 Wochen bin ich nicht ein einziges Mal trocken geworden in dem ewigen Regen. Und nachts gab es regelmäßig Frost.“
Julius Leber in einem Brief an seine Frau 4
Im März 1915 wird er zum Leutnant befördert. Nach einer Verwundung muss er für ein halbes Jahr in Lazarette in Gent und Aachen. Danach wird er nochmals an der Ostfront verwundet und erleidet im Juli 1917 – wieder an der Westfront – eine Gasvergiftung, die ihm sein ganzes Leben zu schaffen macht. Er wird mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet.
Leber bleibt auch nach dem Krieg Soldat. Er wird im Grenzschutz im Osten eingesetzt und dann als Offizier der vorläufigen Reichswehr übernommen. Als beim Kapp-Putsch die neue demokratische Regierung von der Reichswehr im Stich gelassen wird, ist Leber mit seiner Einheit in Belgard in Hinterpommern stationiert. Leber widersetzt sich mit großem Mut den Befehlen seiner Vorgesetzten und steht mit seinen Männern und der Belgarder Arbeiterwehr für die Republik ein. Der Kapp-Putsch scheitert, vor allem wegen des Generalstreiks in öffentlichen und privaten Betrieben. Als Untersuchungen seines „militärischen Ungehorsams“ sich in die Länge ziehen, verlässt er die Reichswehr und kehrt an die Universität Freiburg zurück.
Er schließt am 3.12.1920 sein Studium mit der Promotion zum Doktor der Nationalökonomie (Dr. rer. pol.) ab. Thema seiner Dissertation ist „Die ökonomische Funktion des Geldes im Kapitalismus“. Mit 29 Jahren gelingt ihm so ein „für die damaligen Zeitumstände respektabler Aufstieg“5, wie seine Biografin Dorothea Beck bilanziert. Als Offizier war er der unumstrittene Führer seiner militärischen Einheit, der sich ungeachtet des persönlichen Risikos für den neuen Staat, für die junge Republik entschieden hat. Willensstärke, Durchsetzungsvermögen und sein neuer akademischer Titel öffnen ihm nun viele Möglichkeiten. Er entscheidet sich, die Stelle als Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung „Lübecker Volksbote“ anzutreten.
In Lübeck ist er nicht nur ein einflussreicher Journalist, sondern bald auch Reichstagsabgeordneter der SPD. 1933 erfolgt die Machtübergabe an die Nationalsozialisten und damit das Ende von Julius Lebers erfolgreicher politischer Laufbahn. Nach Jahren im Gefängnis und KZ kehrt er ungebrochen zu seiner Familie zurück und gehört zum aktiven zivilen Widerstand gegen das NS-Regime.
Egon Zweigart
1. David Heinemann, der Enkel von Annedore und Julius Leber, sagt allerdings, dass inzwischen der wirkliche Vater Lebers bekannt sei: „Xavier Stenz aus dem Nachbarort Geißweiler, Bauer und Witwer mit sechs Kindern.“ [Gemeint ist wohl Geisweiler, heute Geiswiller. Nicht direkt ein Nachbarort, liegt im Arrondissement Saverne] In: Felicitas von Aretin: Die Enkel des 20. Juli 1944. Leipzig, Faber & Faber 2004, S. 263
2. Soweit nichts anderes angegeben ist, beziehen sich die Informationen des Artikels auf: Dorothea Beck: Julius Leber – Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Berlin, Siedler 1983.
3. Schreiben eines Mitschülers vom 1.4.1971. Privatarchiv Beck im Archiv des Arbeitskreises Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber, Mappe 8a
4. Brief Lebers an seine Frau vom 18.8.1933. Privatarchiv Beck a.a.O., Briefe
5. Beck a.a.O., S. 34