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Julius Leber – seine politischen Grundsätze

Dorothea Beck

(Leicht gekürztes Skript. Vorgetragen von Dorothea Becks Ehemann Klaus Beck am 5. Januar 2020 bei der vom Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber“ organisierten Veranstaltung zum 75. Todestag von Julius Leber. Wir danken Frau Dr. Beck und Herrn Beck, dass sie uns ihren Beitrag zur Veröffentlichung auf unserer Webseite überlassen haben.)

Inhalt:

Einleitung
Der Weg in die SPD
Abkehr vom Marxismus
Sozialismus und Nation 
Staat und Republik
Staat, Macht, Wehrfrage 
Struktur der Partei
Demokratie, Masse, Führung
Politische Magie, Fahnen, Zeichen, Riten 
Gegner des Nationalsozialismus

Einleitung

Dass der 1891 im Elsass geborene Leber hier in Berlin Schöneberg gewürdigt wird, liegt daran, dass Leber von den 53 Jahren, die er leben durfte, die Zeit nach der Entlassung aus dem KZ Sachenhausen hier in Berlin verbrachte. Als Mitglied des Reichstages ab 1924 war ihm Berlin natürlich auch vertraut. Lebers politische Heimat war Lübeck. Dort war er Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitung „Lübecker Volksbote“ und Mitglied der Lübecker Bürgerschaft.

Lebers Wohnhaus mit Efeu
Wohnhaus 20er Jahre. Foto: Annedore und Julius Leber Archiv

Die politischen Veränderungen des Jahres 1933 beendeten diesen Abschnitt der politischen Karriere Lebers abrupt: Erst 1937 kam er aus Gefängnis und KZ frei.Er wurde Miteigentümer einer Kohlenhandlung hier in Berlin- Schöneberg.  Er schloss sich bald danach dem  Widerstand gegen den Nationalsozialismus an.

Vor den  Volksgerichtshof gestellt, wurde er verurteilt und am 5.Januar 1945  in Plötzensee gehängt, heute  vor 75 Jahren.

  In der Zeit seines politischen Wirkens in Lübeck wurde Leber schnell zum unumstrittenen Führer der Lübecker Arbeiterbewegung und zum ebenso unumstrittenen Gegner des bürgerlichen Lagers der Hansestadt. Er war und blieb ein Mann der Lübecker Basis auch als Reichstagsabgeordneter. Erst sein Wirken im Widerstand gegen Hitler hat ihn nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft über die Grenzen Lübecks hinaus bekannt gemacht.

 Ich werde versuchen, Sie in die Gedankenwelt dieses Mannes einzuführen. Die Forschung bezeichnete ihn, zusammen mit Kurt Schumacher, dem  ersten Nachkriegsvorsitzenden der SPD, mit Theodor Haubach und  Carlo Mierendorff,  als militanten Sozialisten. Ohne dass es sich dabei um eine organisierte Gruppe gehandelt hätte, zeigte es sich, dass diese vier in der Weimarer Zeit bereits Ideen zur  ideologischen und strukturellen Reform ihrer Partei entwickelten, zu  denen sich selbst die Nachkriegssozialdemokratie noch schwer  durchringen musste.

  Sie dürfen sich jedoch Leber keinesfalls als Ideologen vorstellen, auch wenn Teile der folgenden Ausführungen das nahelegen könnten. Er war durch und durch politischer Pragmatiker, allerdings davon überzeugt, dass ohne eine politische Grundüberzeugung politisches Handeln zum bloßen Aktionismus verkommt. Seine Zeitungsartikel, seine Briefe und seine 1933 in der Haft verfasste Schrift „Die Todesursachen der deutschen Sozialdemokratie“ sind Belege für seine politischen Wertvorstellungen. In der Verbindung von Überzeugung und Pragmatismus liegt Lebers Charisma als politischer Führer begründet.

2 Reihen Schüler mit Lehrer, dabei auch Julius Leber
Großherzogliche Höhere Bürgerschule 1902. Leber rechts oben. Bild: A.+J. Leber Archiv

  Wenn ich Ihnen nun Lebers Vorstellungen darlege, versuchen Sie bitte, diese zu sehen als die Vorstellungen eines Mannes, der aus kleinbäuerlichen Verhältnissen im Elsass kam, behaftet mit dem Makel der unehelichen Geburt.

Schon als Kind musste er mitarbeiten, sich den Schulbesuch mit Abitur selbst verdienen. Die Fronterfahrungen des Stellungskrieges im 1.Weltkrieg prägten ihn.  Schon aus finanziellen Erwägungen war er gezwungen, nach dem Krieg schnell sein Studium zu beenden.  Seine Option für Deutschland bedeutete Trennung von Familie und Heimat. Der akademische Grad des Dr. rer. pol. machte den Bildungsabstand zu seiner elsässischen Familie deutlich. Dennoch liebte er das Elsass und seine Menschen.

 Stellen Sie sich Leber bitte auch als einen Mann vor, der das Leben  liebte: Er liebte die Frauen, flog aus seiner Straßburger  Studentenverbindung , weil er der Verlobten eines anderen  Verbindungsmitgliedes nicht nur schöne Augen machte, kaum in  Lübeck, wurde er auch schon Vater, von seinen Beziehungen zu  Schauspielerinnen des Lübecker Theaters wurde bei meinen  Recherchen nur gemunkelt. Noch Annedore Leber, seine Frau, hatte Kummer wegen der Schwäche ihres Mannes für das schöne Geschlecht. 

Leber schätzte gutes Essen, trank und rauchte viel, liebte Automobile. Er wanderte gern, insbesondere im Gebirge. Kurzum: Er war ein lebensfroher Kraftmensch.

Der Weg in die SPD

 Zur SPD will und soll Leber schon in seiner Schulzeit, also vor 1914, gefunden haben. Vermutlich war es aber doch erst die „revolutionäre  wie auch evolutionäre geschichtliche Triebkraft“  des Ersten   Weltkrieges, die ihn zum Sozialdemokraten werden ließ, ihn dazu  brachte, im Kapp-Putsch mit den ihm unterstellten Soldaten – Leber  war nach dem Kriege Soldat geblieben, um Grenzschutzaufgaben an   der Ostgrenze wahrzunehmen –  eindeutig Partei für die neue  Staatsform Republik zu ergreifen.

  Mit dem Eintritt in die SPD (spätestens 1920) hatte Leber zu einer Partei gefunden, in der die Frage nach dem politischen Selbstverständnis spätestens seit dem sogenannten Burgfrieden des August 1914 gestellt war. Hatte sich bis dahin trotz der großen Bandbreite zwischen den Flügeln der Partei, die im Kaiserreich in der  Opposition stehende Sozialdemokratie nach außen und weitgehend  auch nach innen als die „große einige Sozialdemokratie“ mit ihrer  Monopolstellung als die Repräsentantin der Arbeiterbewegung  darzustellen vermocht, so brachte der Krieg die Spaltung: 1916  spaltete sich die Reichstagsfraktion, 1917 die Partei.

  Die Kriegskredite waren nur der Anlass, Grund war die zwiespältige Haltung der Partei zur Übernahme politischer Verantwortlichkeit, in die sie während des Krieges eingebunden wurde.  Während für die USPD diese Frage eindeutig war, nämlich Verbleib in der Oppositionsrolle, blieb diese Frage bei der MSPD ungeklärt.  Nur wenige waren bereit, sich offen und bewusst und grundsätzlich zur Übernahme politischer Verantwortung zu bekennen, der überwiegende Teil zweifelte, trotz faktischer Beteiligung an der Regierung, am eigenen Handeln.

  Die von der MSPD mehr adoptierte denn gewollte Revolution und die  Anfänge der Weimarer Republik machten in erschreckender Weise  deutlich, wie sehr die SPD die „Bürde der Macht“ bedrückte, wie gern  sie sich davon entlasten ließ. Eine Klärung der Frage der Regierungsbeteiligung der SPD wurde durch die Wiedervereinigung mit der USPD 1922 nicht erleichtert, sondern verschärfte die Spannungen noch mehr, wurde doch der zur Oppositionsrolle neigende Flügel dadurch noch mehr gestärkt.