Viertelfinale Deutschland – Spanien bei der Fußballeuropameisterschaft, aber der Saal im PallasT war voll. Über 50 Menschen entschieden sich für die Veranstaltung zum 80. Jahrestag der Verhaftung von Julius Leber – Mut als Grundsubstanz unserer Demokratie. Das lag am Thema aber sicherlich auch am prominenten Podium: der Historiker Peter Steinbach, wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und emeritierter Professor sowie die Lehrerin Laura Nickel, Mitglied im Bündnis „Schule für mehr Demokratie“. Sie wurde bundesweit bekannt durch ihren Brandbrief über die rechtsradikale Umtriebe an ihrer damaligen Schule in Burg / Spreewald. Anabel Bermejo moderierte. Die Anwesenden verfolgten konzentriert die zweite Veranstaltung der Reihe Leben für die Demokratie – Annedore und Julius Leber vom Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber bei der es um Zivilcourage und den Einsatz für die Demokratie ging. Nur beim plötzlichen Jubel, der durch die schräg gestellten Fenster drang und das zwischenzeitliche 1:1 beim EM-Spiel feierte, blickten einige Besucher verstohlen auf ihr Handy.
Peter Steinbach schilderte den ungewöhnlichen Lebensweg von Julius Leber. Der uneheliche Sohn einer elsässischen Magd promovierte, wurde in Lübeck sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. Er war ein entschiedener Verteidiger von Freiheit und Demokratie und ein kämpferischer Gegner des Nationalsozialisten. So wird er zur Zielscheibe ihres Hasses: „Zwei Stunden nach unserem Sieg hängt Dr. Leber auf dem Marktplatz“ drohten sie. Und internierten ihn nach ihrer Machtübernahme lange Jahre in Gefängissen und in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen. Die dort erlebten Folterungen und Demütigungen konnten ihn nicht brechen. Nach seiner Entlassung aus dem KZ nahm er zunächst vorsichtigen Kontakt zu anderen Sozialdemokraten auf. Bald arbeitete er im Widerstand mit bügerlichen, konservativen und auch militärischen Kreisen zusammen. Einer der Treffpunkte der Verschwörer war Lebers Kohlenhandlung in Schöneberg. Mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg, verband ihn der unbedingte Wille zu handeln, Peter Steinbach sah eine Freundschaft zwischen den Beiden. Leber war im Kampf gegen die Nationalsozialisten bereit, auch mit politischen Gegner zu kooperieren. „Ein Widerstand ohne Volk, nur aus dem Zentrum heraus – das geht nicht“ beschreibt Steinbach Lebers Beweggründe zu einem Treffen mit illegalen Vertretern der KPD in Berlin. Die Anwesenheit eines Gestapospitzels bei dem Treffen führte am 5. Juli 1944 zu Lebers Verhaftung. Sechs Monate später wurde er in Plötzensee ermordet.
Laura Nickel beschrieb die Situation an ihrere ehemaligen Schule im Südbrandenburgischen Burg. Hakenkreuz-Schmierereien und Hitlergrüße veranlassten sie und ihren Kollegen Max Teske zu einem offenen Brief an die Presse, nachdem die Schulleitung nicht reagierte. Das löste ein enormes Medienecho und Diskussionen über den Umgang mit Rechtsradikalismus an Schulen aus. Für Laura Nickel ging es auch um den Schutz von Schülerinnen und Schülern, die sich nicht an den rechten Mainstream anpassten, sich gegen rassistische oder sexistische Beschimpfungen stellten und als Zecken beschimpft wurden. An ihrer Schule und in Burg galten die beiden Lehrer nach dem Brief Vielen als Nestbeschmutzer. Sie wurden angefeindet und bedroht. Der Staatsschutz riet ihnen auf dem Nachhauseweg in den Rückspiegel zu schauen und nicht immer die gleiche Strecke zu fahren. Aus Sorge um die Sicherheit ihrer Familien wechselten sie die Schule und zogen aus Burg weg. Laura Nickel betonte, dass sie aus Südbrandenburg stammt und ihre Heimat liebt. Sie bleibt in Brandenburg und unterrichtet jetzt an einer anderen Schule.
Den zwei Beiträgen folgten unter der Moderation von Anabel Bermejo eine rege Frage- und Diskussionsrunde mit dem Publikum. Im Vordergrund standen dabei bald Möglichkeiten zu handeln und auch Menschen, die sich für Demokratie und Minderheiten einsetzen, zu stärken. Laura Nickel riet dazu, Gleichgesinnte zu finden, sich zu vernetzen und gemeinsam zu handeln, so wie sie es mit ihrem Verein „Schule für Demokratie“ macht. Sie forderte mehr in Schulsozialarbeit zu investieren. Auch die Frage, ob es verpflichtende Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer geben soll, wurde im Plenum diskutiert.
Peter Steinbach fragte, ob unsere Erinnerungskultur zeitgemäß sei. „Es geht nicht nur um Geschichte. Es geht um Verhaltensweisen, Maßstäbe …“ Zivilcourage heißt auch, Minderheiten schützen, diskriminierende Aussagen nicht einfach hinnehmen.
Martina Fielbekorn, die Vorsitzende des Stadtteilvereins Schöneberg, bedankte sich am Ende der Veranstaltung bei den Gästen und dem Publikum. Sie wies auf die nächste Veranstaltung des Arbeitskreises zum Prozess gegen Julius Leber hin und auf Möglichkeiten den künftigen Lern- und Gedenkort zu unterstützten, sei es mit Einzelspenden, als Mitglied des Förderkreises oder auch durch Engagement direkt im Arbeitskreis
Lange nach dem Ende der Veranstaltung wurde bei kleinen Snacks und Getränken noch weiter diskutiert.
Ein Bericht über die Veranstaltung findet sich auch auf den Seiten Gemeinsam in Tempelhof-Schöneberg:
https://gemeinsam-in-tempelhof-schoeneberg.de/mut-als-grundsubstanz-fuer-die-demokratie/