80. Todestag von Julius Leber – Briefe an seine Frau Annedore
Gedämpftes Licht im PallasT, die Plätze sind alle belegt und im Halbkreis um den Tisch gestellt, an dem Klaus Grammel die letzten Briefe von Julius Leber liest. Er hat zwei Kerzen mitgebracht und vor sich auf den Tisch gestellt, mit denen er an den Todestag von Julius Leber erinnert.
Die Lesung ist die vierte und letzte Veranstaltung der Reihe Leben für die Demokratie – Annedore und Julius Leber des Arbeitskreises Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber. Viele Menschen sind gekommen. Darunter auch Sabine Reichwein, die Tochter des Reformpädagogen und Mitglied des Kreisauer Kreises Adolf Reichwein.
Auf den Tag genau sind 80 Jahre vergangen, seit Julius Leber im Strafgefängnis Plötzensee im Hinrichtungsschuppen ermordet wurde. Egon Zweigart vom Arbeitskreis weist darauf hin, dass nicht nur Berlin, wo Leber sich in seiner Kohlenhandlung mit anderen Menschen aus dem Widerstand traf, daran erinnert. Auch im Elsass, in Lebers Geburtsort Biesheim, und in Südbaden, seinem Schulort Breisach auf der badischen Rheinseite, wird an ihn gedacht. Auf der Rheininsel zwischen den zwei Orten eröffnet eine deutsch-französische, grenzüberschreitende Ausstellung über sein Leben.
Julius Leber und Adolf Reichwein, beide Teil der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis, nahmen im Sommer 1944 Kontakt zum kommunistischen Widerstand um Anton Saefkow und Franz Jakob auf. Nach diesem einzigen Treffen führender Köpfe der Sozialdemokraten und Kommunisten wurden die Beteiligten von einem Spitzel der Gestapo verraten und am 4. bzw. 5. Juli verhaftet. Annedore Leber wusste drei Wochen lang nicht, wo ihr Mann war. Dann brachte ihn ein Gefangenentransport ins Zuchthaus Brandenburg-Görden. Von dort konnte er ihr das erste Lebenszeichen nach seiner Verhaftung schicken.
Doch die Nationalsozialisten fanden bald heraus, dass Leber an der Planung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 beteiligt war, und ein kleiner Opel holte ihn aus dem Brandenburger Zuchthaus ab und brachte ihn in die Sicherheitspolizeischule Drögen bei Fürstenberg. Dort verhörte und folterte ihn die Sonderkommission 20. Juli mehrere Nächte lang. Danach wurde er im Zellenbau des Konzentrationslagers Ravensbrück interniert. In seine Briefen von hier erkennt man die Sorge um seine Frau, von der er wochenlang nichts gehört hat, da sie selbst verhaftet wurde und nicht schreiben konnte.
Prozess und Hinrichtung
Leber wurde für seinen Prozess nach Berlin zurück gebracht. Der Volksgerichtshof unter Roland Freisler verurteilte ihn und seine Mitangeklagten Adolf Reichwein und Hermann Maaß zum Tode. Der Henker in Plötzensee richtete die beiden Mitangeklagten am selben Tag hin. Leber kam ins Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Strasse. Hier konnte ihn Annedore Leber insgesamt noch sechs mal besuchen und sie konnten sich gegenseitig schreiben.
Annedore hatte noch die verzweifelte Hoffnung, dass ein rasches Kriegsende ihren Mann retten könnte. Jede Nachricht von der Front verfolgte sie mit Hoffen und Bangen. Doch am 5. Januar 1945 war es dann soweit, Julius Leber wurde in Plötzensee hingerichtet. Die Sterbeurkunde vom Standesamt Berlin-Charlottenburg vermerkt penibel die Uhrzeit: 10:36 Uhr, Todesursache: Erhängen. Er war 53 Jahre alt.
Am selben Tag wurden auch gegen zwei Frauen wegen Wehrkraftzersetzung das Todesurteil vollstreckt: Antonie und Marie Schweighart aus München, die vorher im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin interniert waren.
Im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee wurden in der Zeit des Nationalsozialismus mehr als 2800 Frauen und Männer durch den Strang oder das Fallbeil hingerichtet, 89 Menschen im Zusammenhang mit dem 20. Juli. Nach dem Krieg wurde dort eine Gedenkstätte errichtet, die für die Angehörigen der Widerstandsfamilien einer der wichtigsten Erinnerungsorte ist. Die dortige Ausstellung zeigt auch ein Foto von Annedore Leber mit Robert Kennedy und Willy Brandt – Annedore hat Kennedy durch Plötzensee geführt.
Julius Lebers Leichnam wurde ins Krematorium nach Wilmersdorf gebracht und dort eingeäschert. Am Tag danach brachte ein Arbeiter die Asche in einem Karton ins Reichsjustizministerium in der Wilhelmstraße, der weitere Verbleib ist unbekannt. Denn für Hingerichtete gab es kein Grab, doch auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf erinnert Annedore Lebers Grabstein auch an ihren Mann.
Die letzen Briefe
Die Briefe Annedore Lebers sind leider nicht erhalten. Julius Lebers Briefe legen von dieser letzten gemeinsamen Zeit Zeugnis ab – von dem dramatischen Moment seiner plötzlichen Verhaftung bis hin zur Vorbereitung auf den eigenen Tod. Vieles bleibt unausgesprochen, ist allenfalls zwischen den Zeilen zu erahnen – natürlich wurde die Korrespondenz mitgelesen. Beide Eheleute waren darum bemüht, sich in der verbleibenden Zeit des Abschiednehmens gegenseitig zu stützen und zu schützen.
Eine Einführung zu den jeweiligen Briefen gibt Dörte Döhl vom Arbeitskreis. Klaus Grammel liest mitfühlend und bewegend aus Lebers letzten Briefen an seine Frau. Nach dem Studium von Theologie und Philosophie war Klaus Grammel sieben Jahre Pfarrer und Studienleiter in der Diakonenausbildung im Evangelischen Johannesstift, danach Kreisschulpfarrer in Berlin-Spandau, Schulleiter am Oberlin-Seminar und Gemeindepfarrer in Berlin-Marienfelde. Er ist Autor von mehreren Büchern, darunter „Fischele: Eine Liebe im Getto von Wilna“ oder „Ich muss sterben – kommt noch was?“.
Die musikalische Begleitung der Lesung übernimmt Leon Glauning. Er studiert in Dresden Jazzgesang und spielt Klavier, Gitarre, Baß und singt auch in unterschiedlichen Formationen. Drei Klavierstücke spielt er, darunter Die Moorsoldaten. Häftlinge im Konzentrationlager Börgermoor hatten das Stück 1933 geschrieben. Und sangen es in allen Moorlagern im Emsland, darunter in Esterwegen, wo Julius Leber 1935/36 gelitten hatte. Nach seiner Rückkehr aus dem KZ hat er seiner Tochter Katharina das Lied vorgepfiffen.
Viele Besucherinnen und Besucher sind sichtlich bewegt von der Lesung und der Musik. Auch Martina Fiebelkorn, die als Vorsitzende des Stadtteilvereins und Mitglied des Arbeitskreises das Schlusswort hat. Bei einem kleinen Imbiss werden noch Fragen beantwortet und die Anwesenden kommen ins Gespräch.
Der letze Brief von Julius Leber an Annedore Leber vom 1./2. Januar 1945
Meine liebe Frau!
Alle meine guten Wünsche waren in diesen Festtagen noch mehr bei euch als sonst. Was kann ich dir und den Kindern Gutes wünschen für das begonnene Jahr? Was mag es euch bringen? Meine Gedanken gingen immer wieder weit über das Jahr 1945 hinaus und suchten einen zaghaften Blick in die weitere Zukunft zu tun. Was mag das Leben für dich und die Kinder bereithalten?
Wenn Gedanken Gestalt annehmen könnten! Wie hätten sie euch über die Festtage eingehüllt und eingesponnen, um euch zu wärmen, zu schützen und zu tragen für euer ganzes kommendes Leben. Ach Paulus * – was haben meine Gedanken euch gesucht und immer wieder sehnend nach euch getastet und immer wieder und zuerst und zuletzt nach meiner lieben, treuen und stolzen Frau.
Vor mir liegt, soeben gekommen, dein Brief vom 28./29.12., der sofort nach dem Besuch schon geschrieben ist. Deine Besuche bedeuten für mich alles, dazu deine Briefe und kurzen Grüße in Paketchen, wie ich ihn morgen erwarte, Mittwochnachmittag. Und sie trösten mich und tragen mich in meiner Einsamkeit. Und wenn trübe Stunden kommen, dann rufe ich mir ins Gedächtnis zurück, wie du beim letzten Besuch neben mir gesessen, was du mir erzähltest und wie tapfer und stolz du in deine Zukunft blicktest, und alles wird dann wieder leichter.
Du weißt, mein lieber Junge, wie sehr ich unter den besonderen Umständen um deine Gesundheit bange. Jetzt, in der inneren Erregung, arbeitet das Herz wie unter einem Stimulans, darauf kommt dann aber einmal die Reaktion. Und wenn ich daran denke und dann noch an die Kinder, besonders an unseren lieben und empfindsamen Matthias – dann erschauert meine Seele im tiefsten.
Wenn ich den Ärzten auch nicht so recht traue, du kennst mein Vorurteil, so freue ich mich doch über die verhältnismäßig günstige Diagnose. Aber sie machen ihren Patienten gelegentlich auch etwas vor; hoffentlich hat er offen mit dir gesprochen, so dass du einiges Vertrauen haben kannst. Und ich bitte täglich das Schicksal, das große Schicksal – oder wie soll man es sonst nennen? – es möge wenigstens dir die Gnade der Gesundheit gewähren in einem langen und reichen Leben. Und wenn es im Schicksal eine Gerechtigkeit gibt, wie sehr hast du das dann verdient! Was hat dieses Schicksal an dir gutzumachen und in dir zu belohnen, mein lieber Junge!
Wie ich dieses schreibe, aus tiefstem Herzen schreibe, strömt ein anderes Gefühl durch meine Seele: ein Gefühl unendlichen Stolzes auf dich, deine Kraft und deine Haltung! Und in diesem stolzen und schönen Gefühl empfange einen guten und lieben Gute-Nacht-Kuss von deinem alten Jülie
(* Julius Leber sprach seine Frau in den Briefen meist mit Paulus an. Das entstand wahrscheinlich mit dem Eintritt Annedore Lebers, die aus einer konservativ-großbürgerlichen Familie kam, in die SPD. Für Leber wurde sie vom Saulus zum Paulus)