Logos AK, Stadtteillverein und Geschichtswerkstatt mit Panoramabild des Geländes

Julius Leber als Journalist

Redakteur beim Lübecker Volksboten

Nicht als gelernter Journalist, sondern über die politische Parteiarbeit gelangt Julius Leber in die Redaktion des Lübecker Volksboten.1 Die sozialdemokratische Tageszeitung wurde 1894 kurz nach Aufhebung der Bismarckschen Sozialistengesetzgebung gegründet.2

Backsteingebäude (Gewerkschaftshaus Lübeck)
Gewerkschaftshaus, erbaut 1930, Foto: Egon Zweigart

Nach Abschluss seines volkswirtschaftlichen Studiums mit der Promotion am 3. Dezember 19203 nimmt er am 15. März 1921 seine Tätigkeit dort auf. Im selben Jahr noch wird er verantwortlicher Redakteur für Politik und Volkswirtschaft und prägt – bald als Chefredakteur – bis zu seiner ersten Verhaftung im Februar 1933 das Gesicht der Zeitung. In Hunderten mit seinem charakteristischen „Dr. L.“ signierten Artikeln deutet er dem Leser die große und die kleine Politik und versucht, die politischen Zusammenhänge verständlich zu machen.4 Er verteidigt die Republik vehement gegen alle Angriffe, kritisiert aber auch ihre Unzulänglichkeiten.

Nach der Niederschlagung kommunistischer Aufstände in Mitteldeutschland und Hamburg im März 1921 zum Beispiel kritisiert Leber die Einrichtung von Sondergerichten zur schnellen Aburteilung der Aufständischen und die Forderung der deutschnationalen Presse nach dem Galgen: „Haben doch die Nationalen ihre Verbrechen im März 1920 ganz vergessen; vergessen auch haben sie die Amnestie, die damals einem großen Teil von ihnen das Leben rettete. Jetzt sollen andere abgeurteilt werden, keine feudalen Adeligen und keine kaisertreuen Offiziere, sondern nur ganz gewöhnliche Arbeiter. Und nun werden die Kapp-Brüder immer blutrünstiger und rachgieriger“, schreibt er im April 1921.5

Im Juni 1921 verdeutlicht er, dass der Streit um die Seehandelsflagge (schwarz-weiß-rot gegen schwarz-rot-gold) ein „Kampf um die Staatsform und damit um die Macht“ sei. Jeder Angriff auf die schwarzrotgoldene Flagge sei „ein Angriff auf die Republik selbst, und wenn wir diese Fahne verteidigen, so verteidigen wir damit das demokratische Prinzip“.6

Leber kritisiert das Schulwesen, das „wie zu Wilhelms Zeiten … eine Insel für das Bürgertum“ sei, und dass „der Staat mit dem von Arbeitern mühsam erschundenen Geld Herrensöhne zu Feinden der Arbeiterschaft und der Republik“ erziehe.7

Er empört sich über die Morde an Erzberger8 und Rathenau9, nimmt aber auch die Außenpolitik in den Blick, etwa die Folgen des Versailler Vertrages und die Reparationsfrage. Dem deutschen Volk bliebe nur, „seine Verständigungsbereitschaft zu erklären … und das im Krieg von allen Seiten zerstörte Vertrauen des einen Volkes zum anderen wiederherstellen zu helfen.“10 Einen wichtigen Schritt hierzu sieht Leber im Locarno-Vertrag, in dem Deutschland auf das Elsaß und Frankreich auf seine Rheinpläne verzichtet.11

Den Nationalsozialisten stellt sich Leber stets entgegen. Im Herbst 1929 bezeichnet er sie als „Räuberbande des Großkapitals“, die – geführt von „entlassene[n] Offiziere[n], verkrachte[n] Schieber[n], Adlige[n], die noch niemals ehrliche Arbeit geleistet haben“12 – die Schaufenster jüdischer Geschäfte einschlagen, Prügeleien auf öffentlichen Plätzen inszenieren und rücksichtslos Arbeiter niedertrampeln, die eine andere Meinung zu zeigen wagen.13

Ausschnitt der Titelseite der Zeitung
Titelblatt (Ausschnitt) des Lübecker Volksboten vom 04. Februar 1933 Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

1933

Die nationalsozialistische Machtübernahme im Januar 1933 übersteht der Lübecker Volksbote noch. Bis zu ihrer Verhaftung kritisieren Leber und sein Kollege Fritz Solmitz – seit 1924 ebenfalls politischer Redakteur beim Lübecker Volksboten – die neuen Machthaber in mehreren Artikeln deutlich. Auf Grundlage der Reichstagsbrandverordnung wird die Zeitung dann für 14 Tage verboten. Sie erscheint ab dem 20. März erneut und wird am 16. Mai 1933 schließlich unter Beibehaltung des Titels zum parteiamtlichen Organ der NSDAP gleichgeschaltet. Leber und Solmitz erleben diese Übernahme nicht mehr in der Redaktion. Schon Anfang März wird ihnen die Mitarbeit untersagt14.

Leber wird am 23. März 1933 erneut verhaftet15, muss 18 Monate Strafhaft absitzen und wird anschließend bis 1937 in verschiedenen Konzentrationslagern in Schutzhaft festgehalten16. Solmitz – ebenfalls im März 1933 gefangen genommen – wird zunächst im Gefängnis Lübeck-Lauerhof und ab Mai 1933 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel inhaftiert. Er wird schwer misshandelt. Nachdem ihm von SS-Wachleuten weitere Prügel angedroht worden ist, wird er am 19. September 1933 in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Die nationalsozialistischen Behörden geben der Ehefrau gegenüber Selbstmord als Todesursache an. Ob Solmitz zum Suizid getrieben oder aber von seinen Bewachern ermordet wurde, ist ungeklärt.17


1 Vgl. Markus Oddey: Ein Stück sozialdemokratischer Lebenskultur. Der „Lübecker Volksbote“ zwischen Weimarer Republik und „Drittem Reich“. In: Beirat für die Geschichte in der Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holsteins e.V. (Hrsg.): Jahrbuch Demokratische Geschichte. Band 16. Jahr 2004. Seiten 109-120. Download: https://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_16/Demokratische_Geschichte_Band_16_Essay_7.pdf. A.a.O: Seite 111.

2 Vgl. Ute Haese: Die Lübecker Freie Presse. In: Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde. Band 72. Lübeck 1992. Seiten 241-264. Download: https://vlga.de/file/zvlga_72_1992.pdf. A.a.O.: Seite 242.

3 Vgl. Dorothea Beck: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Berlin 1983. Seite 34.

4 Vgl. Helmut Altrichter: „Politik ist keine Religion“ – Julius Leber (1891-1945). In: Bastian Hein, Manfred Kittel, Horst Möller (Hrsg.): Gesichter der Demokratie. Porträts zur deutschen Zeitgeschichte. Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. München 2012. Seiten 77-88. A.a.O.: Seite 80.

5 Vgl. Dr. L.: Sondergerichte und Galgen. In: Lübecker Volksbote, 04.04.1921. Seite 1. Sämtliche Ausgaben des Lübecker Volksboten von 1894 bis 1933 sind auf der Internetseite der Friedrich-Ebert-Stiftung dokumentiert: http://library.fes.de/inhalt/digital/volksbote-luebeck.htm.

6 Vgl. Dr. L.: Das Prinzip. In: Lübecker Volksbote, 28.06.1921. Seite 1.

7 Vgl. Dr. L.: Biegen oder Brechen. In: Lübecker Volksbote, 17.03.1922. Seite 1.

8 Vgl. Dr. L.: Erzberger ermordet. In: Lübecker Volksbote, 24.08.1921. Seite 1.

9 Vgl. Dr. L.: Die Republik in Not. In: Lübecker Volksbote, 26.06.1922. Seite 1.

10 Vgl. Dr. L.: Der Weg zur Freiheit. Ein Appell an die deutsche Vernunft. In: Lübecker Volksbote, 2.5.1924. Seite 1.

11 Vgl. Dr. L.: Der Sinn von Locarno. „Moralische Entspannung!“ In: Lübecker Volksbote, 21.10.1925. Seite 1.

12 Vgl. Dr. L.: Sie haben gekniffen! In: Lübecker Volksbote, 19.10.1929. Seite 5 (1. Beilage).

13 Vgl. Dr. L.: Geht es so weiter? In: Lübecker Volksbote, 7.8.1929. Seite 1.

14 Vgl. Oddey: a.a.O., Seiten 111-112.

15 Vgl. Beck, a.a.O., Seite 133.

16 Vgl. Beck, a.a.O., Seite 158.

17 Vgl. Zusammengestellt aus Wikipedia: Fritz Solmitz. https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Solmitz, 19.04.2019.