Logos AK, Stadtteillverein und Geschichtswerkstatt mit Panoramabild des Geländes

Spurensuche in Lübeck

Julius Leber kam 1921 nach Lübeck und übernahm die Redaktion, später die Chefredaktion des „Lübecker Volksboten“, einer SPD-Zeitung. Im selben Jahr wurde er für die SPD zum Mitglied der Lübecker Bürgerschaft, ab 1924 auch in den Reichstag gewählt. Innerhalb von kurzer Zeit war der Elsässer zur wichtigsten Persönlichkeit der Lübecker Sozialdemokratie geworden. Sein kompromissloses Eintreten für die Rechte der einfachen Leute und sein leidenschaftlicher Kampf gegen die Nationalsozialisten verschafften ihm Respekt weit über die Kreise der Arbeiterschaft hinaus.

Mit Fotos und Gemälde von Julius Leber

Dr.Julius-Leber-Haus. Erinnerungswand. Foto: Egon Zweigart

Foto des Gebäudes Julius Leber Haus

Dr.-Julius-Leber-Haus, Foto: Egon Zweigart

.In Lübeck stößt man häufig auf Lebers Namen. Die SPD in Lübeck hat ihre Kreisgeschäftsstelle in der Großen Burgstraße 51 zum Gedenken an ihn Dr.-Julius-Leber-Haus genannt. Hier haben auch die SPD-Abgeordneten von Landtag und Bundestag ihre Büros. Im Konferenzraum im Erdgeschoss, dem Raum „Julius Leber“, wird an ihn erinnert.

Auch eine Grund- und Gemeinschaftsschule hat sich nach Julius Leber benannt und sagt auf ihrer Hompage: „Seinen größten Rückhalt hatte er [J. Leber] jedoch stets in der Lübecker Arbeiterschaft, so in dem „Kleine-Leute“-Stadtteil St. Lorenz Nord, in dem sich unsere Schule befindet.“

Gedenkstein mit Tafel zur Erinnerung an Julius Leber

Ehrenfriedhof, Gedenkstein
Foto: Peter Oldekop, wikimedia

Auf dem Ehrenfriedhof, der zentralen Gedenkstätte für Opfer der Weltkriege, gibt es einen Gedenkstein. Auf der Kupferplatte darauf wird aus „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Nietzsche zitiert:

Aufrecht geht mir beizeiten
o Brüder

Leber und Willy Brandt

Rotes Backsteingebäude

Gewerkschaftshaus, erbaut 1930, Foto: Egon Zweigart

Die Dr.-Julius-Leber-Straße (die Stadt Lübeck legt wert auf den „Dr.“ im Namen) befindet sich im Zentrum der Altstadt. Die frühere Johannisstraße wurde bereits 1946 umbenannt. Die Nr. 46-48 war das alte Gewerkschaftshaus. Heute befindet sich hier das Ordnungsamt. In dem Gebäude war Julius Lebers Arbeitsplatz, denn hier waren auch die Redaktionsräume des Lübecker Volksboten. Das sozialdemokratische Parteiblatt hatte mehr als 20 Tausend Abonnenten. Als Politredakteur arbeitete Fritz Solmitz, ein Studienfreund von Leber.

Der spätere Bundeskanzler Willy Brandt schrieb als 13-jähriger seinen ersten Artikel für die Zeitung. Herbert Frahm hieß er damals noch. Gefördert von Julius Leber schrieb Brandt ab 1929 regelmäßig für den Volksboten. Und dank seiner Fürsprache konnte Brandt schon als 16jähriger in die SPD eintreten. „Die Arbeiter vor Ort verehrten ihn“ schrieb Brandt in seiner Autobiogafie „Links und frei“ über Leber. Und in einem Interview mit der ZDF-Sendung Zeugen des Jahrhunderts „Leber war eine ungewöhnliche Persönlichkeit … der mich beeindruckte eben wegen der Militanz, die ich bei anderen vermisste.“

Zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden kam es 1931. Brandt und andere Mitglieder der SPD-Jugendorganisation waren von der SPD-Politik enttäuscht und schlossen sich der der neuen links­revolutionären Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) an.

Später, während des Krieges, traf sich Brandt im Exil in Schweden mit Mitgliedern des Kreisauer Kreises, die im Widerstand gegen das NS-Regime auch mit Julius Leber zusammen arbeiteten und hatte über sie nochmal Kontakt zu Leber: Theodor Steltzer  und Adam von Trott zu Solz. Steltzer war ein deutscher Offizier bei der Wehrmacht in Norwegen. Nach dem Krieg war er einer der Mitbegründer CDU und wurde von den britischen Besatzungsbehörden zum Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein ernannt. Trott zu Solz war Legationsrat im auswärtigen Dienst und konnte während seiner Dienstreisen viele Kontakte knüpfen. Zusammen mit Leber gehörte er zu den engsten zivilen Mitarbeitern Stauffenbergs. Brandt suchte er auf Empfehlung Lebers auf um ihn über den geplanten Umsturz zu informieren. 1

Im Willy-Brandt-Haus in der Königstr. 21 wird in einer multimedialen Ausstellung auch die Rolle von Julius Leber gewürdigt.

Wohnung und Familie

Leber, Julius, Dr. d. Staatswissensch., Schriftleiter d. Lüb. Volksboten, Breitestr. 22

Lübecker Adressbuch 1923

Annedore und Julius Leber nebeneinander stehend

Annedore und Julius Leber.
Foto: A.und J. Leber Archiv

Eine Suche in den Adressbüchern von Lübeck zeigt Julius Lebers Adresse von 1922 bis 1926 in der Breiten Straße 22, also mitten in der belebten Geschäftsstraße der Altstadt. Das Gebäude steht heute nicht mehr. Es wurde 1965 für den Erweiterungsbau der Sparkasse abgerissen.

Leber, Jules. Dr. Hauptschriftleiter, Breite Str. 22

Lübecker Adressbuch: Ab 1926 mit seinem elsässer Vornamen Jules

In Lübeck lernte Leber Annedore Rosenthal kennen. Nach einem zufälligen Treffen in Berlin kamen sich beide näher und heirateten 1927. Sie zogen zusammen in die Gertrudenstrasse 4, nördlich der Altstadtinsel. Bald danach kamen ihre Kinder Katharina und Mathias zur Welt.

Annedores Eltern waren nicht erfreut über ihre Hochzeit mit einem Sozialisten. Sie lebten in der Rotlöscher Straße 49 südöstlich der Innenstadt. Ihr Vater Georg Rosenthal war Direktor des Katharineums, des ältesten Lübecker Gymnasiums. Hier gingen die Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann zur Schule und der Anarchist Erich Mühsam wurde von der Schule gewiesen, da er schulinterne Vorgänge an den „Lübecker Volksboten“, wo Leber später arbeitete, weiter gereicht hatte. Im März 1933 wurde Rosenthal entlassen und durch einen überzeugten Nationalsozialisten ersetzt. Ein Jahr später starb er als gebrochener Mann.

Weißes Einfamilienhaus

Wohnhaus heute. Foto: Egon Zweigart

Haus mit Efeu

Wohnhaus 20er Jahre. Foto: Annedore und Julius Leber Archiv

Annedore Leber mit ihren Kindern im Fenster ihres Hauses

Annedore Leber mit Kindern Mathias und Katharina.
Foto: Annedore und Julius Leber Archiv

Der Überfall

Straße mit Marsstall im Hintergrund

Große Burgstraße heute. Hier wurde Leber 1933 angegriffen. Foto: Egon Zweigart

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten in Berlin führte am Abend des 31. Januar 33 ein Fackelzug von SA, SS und anderen NS-Verbänden durch Lübecks Innenstadt. In den frühen Morgenstunden des 1. Februar geriet Leber, der mit den Reichsbannermännern Willi Rath und Heinrich Braasch auf dem Heimweg zur Gertrudenstrasse war, mit NS-Angehörigen Ecke Breite Straße/Beckergrube in Streit. Diese holten Hilfe in in einer Kneipe und griffen dann Leber und seine Begleiter zu fünft in der Großen Burgstraße an. Leber wurde schwer im Gesicht verletzt. Willi Rath verwundete den Marinesturmmann Rudolf Brüggemann durch eine Messerstich tödlich. Rath und Leber wurden zur Kriminalpolizeiwache im Alten Zeughaus am Fuße des Lübecker Doms gebracht. Leber, der vorübergehend in einer Zelle inhaftiert wurde, zerschlug darin wütend eine Scheibe. Um 5:30 Uhr wurde er zu seinem Haus gefahren. Unterwegs schossen NSDAP-Angehörige auf den Wagen.

zwei Backsteingebäude verbunden durch ein Torhaus

Marsstall, 1933 Untersuchungsgefängnis. Foto: Egon Zweigart

Backsteingebäude mit Toreinfahrt

ehem. Zeughaus, 1933 Kriminalpolizei. Foto: Egon Zweigart

Kurz danach kam Leber in Untersuchungshaft ins Untersuchungsgefängnis im Marststall in der Großen Burgstrasse 4. Die Lübecker Arbeiter reagierten empört. Mit spontanen Demonstrationen und einem einstündigen Generalstreik am 3. Februar. Vor dem Gewerkschaftshaus forderten Demonstrierende in Massenkundgebungen Lebers Freilassung.

Gegen Kaution wurde Leber am 16. Februar aus der Haft entlassen. Am 19. Februar fuhr er vom Krankenhaus zur der Kundgebung der Eisernen Front auf dem Burgfeld. Mit verbundenem Auge trat er vor mehr als 15 000 Menschen auf, konnte aber auf Grund seiner Veletzung nicht sprechen. Sein Freund Fritz Solmitz hielt die Ansprache. Es war die letzte antinationalsozialistische Massenkundgebung.2

Bild von großer Menge Menschen, im Vordergrund Bild von Julius Leber einmontiert

Aus der Ausstellung im Willy-Brandt-Haus: Kundgebung auf dem Burgplatz, im Vordergrund Leber mit Augenklappe.

Rath wurde zu einem Jahr, Leber zu zwanzig Monaten Gefängnis verurteilt. Leber sei schwerer zu bestrafen, weil die übergroße Schärfe seiner politischen Stellungnahmen ein gut Teil schuld auch an diesem Vorfall trügen. Die vier Nationalsozialisten, die den Überfall zusammen mit dem getöteten Brüggemann ausführten, gingen aufgrund einer Amnestie straffrei aus.

Lebers Freund und Kollege Fritz Solmitz war als leidenschaftlicher Gegner der Nationalsozialisten und aufgrund seiner jüdischen Abstammung bei ihnen besonders gehaßt. Nach schweren Folterungen wurde er im September 33 im KZ Fuhlsbüttel in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Erhalten sind von ihm Schilderungen der Folter, die er auf Zigarettenpapier schrieb und in seiner Taschenuhr versteckt seiner Frau gegeben hatte.

Julius Leber wurde am 5. März 1933 wieder in den Reichstag gewählt. In Lübeck konnten die Sozialdemokraten im Vergleich zum November 1932 noch Stimmen dazu gewinnen. Bei einem kurzen Erhohlungsaufenthalt in Bayern entschied er sich gegen den Rat von Freunden in Deutschland zu bleiben. Er meinte, dass er das den Lübecker Arbeitern schuldig sei.

Am 23. März  wurde Leber vor der Kroll-Oper in Berlin erneut verhaftet, so dass er nicht an der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz an diesem Tag teilnehmen konnte. Bis September 1933 war er wieder im Untersuchungsgefängnis Marsstall interniert.  Nach der Ablehung seiner Revision saß er die Haft in den Gefängnissen Lübeck-Lauerhof im Stadtteil St. Gertrud und Wolfenbüttel ab. Danach begann für ihn eine lange Leidenszeit in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen. Erst 1937 kam er frei und zog nach Berlin, wo seine Frau Annedore inzwischen lebte. Während des Krieges stand er dann im Zentrum des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten.

Egon Zweigart

Literaturhinweis:

Dorothea Beck: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Berlin: Siedler, 1983.

1. siehe dazu: Edition „Willy Brandt – Berliner Ausgabe“. Herausgegeben von Helga Grebing u.a. Bd. 5, S. 488-498

2. dazu: Lund, Heinz: Der Prozess gegen Dr. Julius Leber. Lübecksche Blätter, 3.3.1983, S. 69-72 und
Imberger, Elke: Widerstand von unten. Neumünster: Karl Wachholtz, 1991. S. 59-62
In Lebers Zeitung erschien am Tag nach dem Überfall der Artikel „Nächtlicher Ueberfall auf Gen. Leber“, Lübecker Volksbote, 1. Februar 1933. Darin wird ausführlich der Polizeibericht zitiert 

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